Rede von Ernst-Andreas Ziegler auf der Trauerfeier für Dr. Hans Kremendahl (27.02.2015)

Trauerfeier der Stadt Wuppertal für Oberbürgermeister a.D. Dr. Hans Kremendahl am 27. Februar 2015 im Ratssaal. Rede: Ernst-Andreas Ziegler:
„Drei Vorbemerkungen:
Erstens: Bevor ich über Hans Kremendahl spreche, möchte ich Ihnen, Herr Oberbürgermeister Jung, Respekt zollen. Sie haben Ihren Amtsvorgänger und einstigen politischen Konkurrenten auch in seiner schwersten Zeit immer ehrenvoll behandelt. In diesem Geist haben Sie zu dieser Trauerfeier eigeladen. Das ehrt Sie – und das sage ich auch für Frau Kremendahl, für seine Freunde und für seine ehemaligen engsten Mitarbeiter.
Zweitens zu Frau Kremendahl: Du, Ingelore, hast Deinem Mann großartig beigestanden. Und das gilt auch für Deine Haltung in diesen Tagen der Trauer. Auch das verdient Respekt. Hans würde stolz und dankbar sein. Wir sind es.
Drittens – und ganz spontan – zu Dietmar Bell. Lieber Dietmar, Dir gereicht es zur Ehre, dass Du als Parteivorsitzender der SPD, auch meine Partei, soeben die Verantwortung der Partei für die einstige Spendenaffäre übernommen hast. Respekt!
Herr Oberbürgermeister Peter Jung und Dietmar Bell haben deutlich gemacht, wie sehr sich Hans Kremendahl um Wuppertal verdient gemacht hat.
Ich will das unterstreichen, indem ich über seinen Charakter, seinen Arbeitsstil, seine Führungskompetenz, seine Freundschaft spreche. Der Schlüssel, ihn und sein Wirken zu verstehen, war das ihn prägende Elternhaus, die Verwurzelung in Cronenberg, die Zugehörigkeit zu einem Menschenschlag – den Cronenbergern, bei denen wie im Bergischen Heimatlied noch der Handschlag gilt. Und zwar noch immer. Ich weiß das als Jahrzehnte langer ehemaliger Pate der BV.
Heißt: Was sich Hans Kremendahl vorgenommen hatte, und was er für richtig hielt, daran hielt er unverbrüchlich, bedingungslos fest – es sei denn, jemand konnte ihn intellektuell eines Besseren belehren.
So war schon der kleine Hans, der mit den beiden Opas, die mit ihm auf Wunsch der Mutter nur Platt sprachen, immer entweder zu einem Taubenschlag oder zu einem Bauernhof in die Kohlfurth ging: Taubenschlag oder Stall ausmisten, Kühe hüten, Tiere füttern. Das war sein Leben. Er wollte nur Bauer werden.
Seine Lehrerin, „das Fräulein“ Selma Struppe, glaubte das nicht ganz. Sie sagte über den kleinen Hans – sie winkelte einen Arm an, ballte die Faust und zeigte auf ihren Oberarm: „Was andere hier mehr haben, hat dieser Junge im Kopf.“ Apropos andere Schüler: „Hans war brillant, aber immer ein guter Freund. Er ließ alle bei sich abschreiben…“
Dass er nicht Landwirt wurde, lag an einer ihn tief beeindruckenden Fernsehdiskussion mit dem Politikwissenschaftler Prof. Klaus Mehnert über die politische Situation und die Lebensverhältnisse in der Sowjetunion, die dieser vielsprachige und weltgereiste Gast mit persönlichen Eindrücken aus den USA und einigen asiatischen Ländern verglich. Hans besorgte sich alle Bücher von Mehnert. Dann sagte er seinen Eltern: „Ich will doch nicht Bauer werden. Ich werde Politikwissenschaftler. Anschließend gehe ich in die Politik.“ Damals war er 13.
Sowohl in der Wissenschaft als auch in der praktischen Politik hat er sich so erfolgreich geschlagen wie es ihm später Frau Prof. Gesine Schwan als Widmung in ein Buch schrieb (sie war die Ehefrau seines Doktorvaters). Sie formulierte: „Für Hans Kremendahl, den Felsen in der Brandung“.
Dieser Fels war er immer, auch in seiner Wuppertaler OB-Zeit. Er hat nie die Nerven verloren, nie seine Mitarbeiter – auch bei Fehlern – bloßgestellt, nie seine Führungsverantwortung in allen Dingen um diese Stadt in Frage gestellt. Er lud alles auf seine Schultern.
Dabei war er oft nur äußerlich ein Fels in der Brandung, an den die Wellen wirkungslos abprallen. In Wahrheit war auch er ein Seelchen, sehr verletzlich. Er ließ es sich nur nicht anmerken.
Mit ihm, Ulrich Kronenberg- anfangs auch mit Hagen Stölting – waren wir die oft beargwöhnte „Viererrunde“, in der alles, was wichtig war oder werden könnte, besprochen wurde.
Wir wussten um seine Verletzlichkeit, haben es aber für uns behalten. Er brauchte auch Pausen im Schneckenhaus!
Wäre er nicht so sensibel gewesen, hätte er nicht die Fähigkeit gehabt, vielen Menschen so genau zuzuhören, hätte er nicht jeden Verletzten nach dem Schwebebahnunglück persönlich im Krankenhaus besucht, ausdrücklich ohne Presse, was meine Journalistenkollegen respektierten, hätte er nicht so vielen Menschen mit ihren Sorgen geholfen. Als Oberbürgermeister kümmerte er sich um alles, selbst wenn ihn jemand spätabends zu Hause anrief, weil die Mülltonne nicht geleert war.
Zur Viererrunde: Hans Kremendahl verlangte von seinen Vertrauten, ständig, also auch überraschend, wenn er gerade von einem schwierigen Termin kam, als intellektuelle Sparringspartner verfügbar zu sein. Er war ein grandioser, brillanter Kopf. Aber er wollte abwägen, vorher und nicht hinterher nachdenken. Was wichtig war oder wichtig werden könnte, wollte er unbedingt vor einer Entscheidung auf Widersprüche, auf Risiken, auf Sinnhaftigkeit überprüft haben.
Er verlangte, er forderte ständig Gegenpositionen. Ja-Sager konnte er in seiner Umgebung nicht gebrauchen. Was die Stadt voranbringen könnte, sollte geschehen, wenn nötig gegen seine eigene Partei. Hans Kremendahl war nicht beratungsresistent, er war geradezu beratungssüchtig. Allerdings hinter verschlossenen Türen.
An dieser Stelle will ich einen Philosophen nennen, dessen Lehren er zeitlebens befolgte. Ich rede von Prof. Karl Popper, einen österreichisch-englischen Vordenker, dessen Schriften Hans Kremendahl tief verinnerlicht hatte. Erst einmal alles in Frage stellen, alles gründlich abwägen- also nach dem Motto handeln, nichts beginnen, bevor über das Ende nachgedacht wird.
Hans Kremendahl war auch ein leidenschaftlicher Wissenschaftler, Hochschullehrer. Kein Wunder, dass er sich bereits bei ihrer ersten Begegnung so gut mit Rektor Prof. Lambert T. Koch verstanden hat. Sie diskutierten wohl gleich über das Humboldt’sche Bild der Universität. An dieser Stelle entschuldige ich, dass unser Rektor heute nicht hier sein kann, und übermittle seine Grüße. Er hält sich in den USA auf, hält einen Vortrag an der Harvard Universität.
Hans Kremendahl hatte hohe, nein höchste moralische Vorstellungen – auch oder erst Recht für das Handeln von Politikern. Er hat das vorgelebt, er hat das von sich und anderen verlangt. Ich habe ihn zu einer Vorlesung in der Bergischen Universität begleitet, es ging um Anstand und Moral in der Politik. Seine Position war klipp und klar, er forderte mehr Mut zur Wahrheit, zur Glaubwürdigkeit, zu transparentem politischem Handeln.
Für sich selbst setzte er in der Politik diese hohen moralischen Maßstäbe. Er hat auf böseste Angriffe nicht mit gleicher Münze heimgezahlt. Weil sich sogar der zu Unrecht Angegriffene schmutzig macht, wenn er den Dreck, der ihn getroffen hat, zurückwirft.
Umso mehr traf ihn die aus meiner Sicht einzige gravierende Fehlentscheidung in Wuppertal, die er seiner Partei nicht untersagte. Er ließ mich in seiner Gegenwart mehrfach gegen die Annahme der Spende kämpfen, doch er ließ es letztlich laufen. Ich bin überzeugt: gegen seine innere Überzeugung.
Er hat dafür bitter bezahlt. Am allerschlimmsten traf ihn nicht der Verlust des Amtes, das steckte der Demokrat und der Fels in der Brandung halbwegs weg. Er ging jedoch gebückt, weil er seinen eigenen Moralvorstellungen nicht genügt hatte.
In dieser Phase, wo nur noch wenige zu ihm hielten – vorher hatten ihn die Leute umschwirrt wie die Motten in der Nacht das Licht – halfen ihm seine Frau und Freunde, besonders auch Detlev Prinz aus Berlin, ein Weggefährte aus frühen Berliner SPD-Tagen. Er gab dem politischen Ausnahmetalent Hans Kremendahl eine neue, eine publizistische Plattform, den „Hauptstadtbrief“.
Hans Kremendahl war mein Chef – ein sehr überzeugender – und mein Freund – ein sehr zuverlässiger. Ich bin sehr dankbar für viele Gespräche, bis zuletzt meist im Café Negev. Die Bergische Synagoge war auch ein Stück seines Wirkens. Er hat mit Stadtdirektor Dr. Slawig ein sehr außergewöhnliches Finanzierungsmodell entwickelt, damit sich auch wichtige Kommunen des Bergischen Landes beteiligten – über die Kommunale Arbeitsgemeinschaft.
Für die Entwicklung der Junior Uni hat er mir von Anfang an viele gute Ratschläge gegeben. Anfangs haben wir stundenlang das Projekt kritisch hinterfragt, das Für und Wider abgewogen. Dann war er völlig überzeugt, hat uns immer wieder ermutigt. Die Junior Uni war ihm eine Herzenssache!
Hans Kremendahl war ein Geistessportler. Er war ein Bücherwurm, grandios belesen.
Im Popper`schen Sinn hat er vor seinem Tod über sein Leben nachgedacht und Bilanz bezogen. Heißt: Er war auf alles vorbereitet. Er hatte und zeigte auch dabei HALTUNG. Wie immer.
Erst vorhin habe ich den Mädchennamen von Frau Kremendahl erfahren. Sie hieß früher Heinzelbäcker. Wenn ich an das Märchen von den guten Heinzelmännchen denke, dann hast Du, Ingelore, für Hans in seiner schweren Zeit nicht die Rolle der Bäckerin, sondern die der Heinzelmännchen gespielt. Wir wünschen Dir jetzt viel Kraft.
Ich fasse zusammen: Wuppertal wird Anlass haben, das Andenken an Hans Kremendahl dauerhaft zu ehren.“
 
Das Redemanuskript wurde uns zur Veröffentlichung von Ernst-Andreas Ziegler zur Verfügung gestellt. 
Foto: Junior Uni